Süddeutsche Zeitung Interview 29.01.2021 (German only)

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© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content

Interview: Lea Hampel und Nakissa Salavati

Die Gittertür zu Lokal und Club na- mens Blitz ist verschlossen. Nur ein paar Bierbänke erinnern noch an laue Sommertage, als sich hier auf der Münchner Museumsinsel die Menschen an Drinks und mexikanischen Snacks freu- ten. Chefin Sandra Forster, eine Größe der Münchner Gastronomie- und Clubszene, empfängt in dicker Strickjacke, mit Hund und Smartphone. Mehr braucht sie derzeit nicht zum Arbeiten, denn statt Gäste zu versorgen, muss sie vor allem: das Nichts verwalten und warten.

SZ: Frau Forster, reden wir über Geld. Wir sitzen in Ihrem seit Wochen leeren Restaurant. Wie geht es Ihnen?


Sandra Forster: Lange war ich tapfer, aber jetzt geht es mir an die Nieren. Grundsätz- lich bekommen wir Hilfen, relativ hohe für November und Dezember, die sind jetzt zu- mindest teilweise angekommen. Das Ganze ist aber so kompliziert, dass ich nicht weiß, ob das wirklich meine Kosten deckt, ob noch etwas kommt oder ich etwas zu- rückzahlen muss. Das macht mich so verrückt, weil ich hilflos bin. Ich war immer verantwortlich für alles und kann jetzt gar nichts machen.

Eine Erfahrung von Kontrollverlust.

Ja, total unangenehm. Allein auf öffentli- che Gelder angewiesen zu sein, stresst mich. Das habe ich nie gemacht. Ich habe mich nie arbeitslos gemeldet. Wir persönlich als Betreiber haben übrigens die ganze Zeit keinen Cent bekommen.

Weil Sie sich keine Gehälter auszahlen?

Weil wir nicht angestellt sind. Wir machen sonst Gewinnausschüttungen. Auf die Frage, wie ich meine Miete bezahlen und meine zwei Kinder ernähren soll, erfährt man: Sozialhilfe beantragen. Uff, echt jetzt?

„Zu Hause haben wir geringe Fixkosten. Da lege ich Wert drauf,
weil es frei macht.“

Haben Sie das gemacht?

Nein. Aber für mich ist die Situation traumatisierend. Ich habe fast 30 Jahre in der Branche gearbeitet, das hat mich ausgemacht, ich fühle mich amputiert. Geld war für mich bisher nie so wichtig, immer eher Tauschware, dass ich mir Personal und Ware leisten konnte.

Ihr erster Laden war keine Gastronomie, sondern ein Tattoo-Studio. Sie wa- ren 18, mit welchem Geld macht man das so jung?

Ich habe immer gejobbt, vor der Schule beim Bäcker. Man brauchte nicht viel, ich glaube, wir haben zu zweit je fünftausend Mark investiert.

Warum Piercings und Tattoos?

Das hat sich so ergeben. Als Schülerin habe ich Piercings gemacht und hatte die Idee, mich mit einer Freundin selbständig zu machen.

Wie fanden Ihre Eltern das?

Ganz schrecklich. Die sind froh, dass es seriöser geworden ist.


Jetzt mit Technoclubs!


(lacht) Ihnen ist der Teil mit den Restau- rants auf jeden Fall lieber. Als ich 18 war, hatte ich ein großes Bedürfnis, mich abzu- grenzen. Ich komme aus Pullach, bekanntermaßen eine eher konservative, wohlhabende Gegend. Es war eine Art spätpubertäres Abkoppeln.

Mit welchem Verhältnis zu Geld sind Sie aufgewachsen?
Auf jeden Fall wurde mit nichts verschwenderisch umgegangen, auch nicht mit Geld, obwohl sie es sich hätten leisten können. Aber mir hilft das sehr. Ich habe immer Geld gehabt, weil ich es nicht ausgebe. Ich habe keine Luxusvorstellungen, was ich bräuchte. Zu Hause haben wir geringe Fix- kosten. Da lege ich Wert drauf, weil es frei macht. Ich kann sagen: Diesen Betrag werde ich immer erarbeiten können.

Hat die Sparsamkeit der Eltern genervt?

Ja, es gab auch Streit. In Pullach sind manche Leute nach Südafrika in den Urlaub ge- flogen und wir maximal mit dem Auto an den Gardasee gefahren. Meine Eltern haben dann betont, dass es in Europa auch schön sei. Bis heute, wenn meine Mutter mich nach Weihnachtswünschen fragt und ich sage, bei Tchibo gibt es eine Boom-Box, die könnte ich für meine Wochenend- hütte gebrauchen, sagt sie: Die kostet 100 Euro! Und ich: Sollen wir’s uns teilen? (lacht). Gott sei Dank war die Box auf 70 Euro runtergesetzt, hurra!

Machen Sie das mit Ihren Kindern auch so?


Nein, ich bin großzügig im Schenken, auch meinen Eltern gegenüber. Wenn mir was Cooles einfällt, ist es mir egal, ob das 200 oder 300 Euro kostet. Das bedeutet nicht, dass alle Geschenke so teuer sind.

Ist es schwer, bei Geschenken für Kinder eine Grenze zu ziehen?

Meine sind so klein, sechs und zwei Jahre, die ticken noch nicht materialistisch. Der Größere hat sich 2019 zu Weihnachten eine Krone und einen Käse gewünscht. Ich versuche, seine Wünsche zu erfüllen, weil die so putzig und machbar sind, und hoffe, dass er ein cooler Typ bleibt, der nicht dauernd Markenklamotten will.

Würde er die bekommen?

Nein, das habe ich von meinen Eltern gelernt. Meine Kinder müssen für Geld arbeiten. Nur dann hat man einen vernünftigen Bezug dazu. Ich habe Freunde aus reichen Familien, für die ist alles nichts wert.

Sie haben mal gesagt, dass man als Chefin die Drecksarbeit machen muss. Das könnten Sie Ihren Kindern abgeben. 

Genau, Toiletten entstopfen, Scherben zusammenkehren, putzen…

Ist trotz solcher Aufgaben die Verantwortung das Tolle daran, selbständig und Chefin zu sein?

Ja. Ich kenn es auch nicht anders. Mein Vater war immer selbständig, irgendwo hingehen und bezahlt werden und sich Urlaub nehmen, das gab es nie. Für mich stand im Vordergrund, Ideen so zu verwirklichen, wie ich möchte. Dafür hätte es nicht die Gastronomie sein müssen, aber es funktio- niert hier gut, weil sich alles verändert, Angebot und Zielgruppe. Das kann man ewig machen, siehe Charles Schumann. Wichtig war, es selber machen zu können.

Weil einem niemand reinredet.

Ja. Obwohl ich ja keinen Laden alleine mache, sondern Partner habe. Und dann reden einem andere rein. Das Kreisverwaltungsreferat, das Finanzamt, die Agentur für Arbeit, die Gäste…

Gäste!

Ja, die wissen immer, was man alles anders machen sollte.

Das frage ich mich auch.

Kommt es da auf das Milieu an?

Na ja, in Clubs passieren schon krassere Sachen. Wenn Menschen viel getrunken haben, gibt es schon manche, die das Klo nicht finden.

Oh.

Habe ich zwei Mal erlebt. Kontrollverlust halt.

Aber auch sehr kontrollierte Gäste benehmen sich daneben?

Ja, das verleidet’s einem manchmal. Am meisten hasse ich, wenn Gäste das Personal drangsalieren.

In teuren Restaurants hat man manchmal das Gefühl, Gäste glauben, sie hätten sich das Recht gekauft, blöd zu sein. Darf man also nicht zu teuer werden? 

Was ist zu teuer? Manche Gäste glauben zu wissen, was ein Essen kosten darf, weil sie mal Nudeln mit Tomatensauce gemacht haben.

Wie legt man denn Restaurantpreise fest?

Die klassische Kalkulation, den Waren- wert mal 3,5, habe ich nie angewandt. Wir schauen immer, was ein Gast dalassen soll. Zum Beispiel ist eine zu große, günstige Portion ein Problem, dann bestellen die Leute immer das und nie Nachtisch. Und dann trinkt der Gast nur eine Weinschorle, verbringt zwei Stunden am Tisch und gibt 15 Euro aus. Das rechnet sich für uns nicht. Man braucht im Restaurant ungefähr einen Pro-Kopf-Umsatz von 30 Euro. Das ist bei vegetarischem Essen schwieriger, weil die Leute fragen, warum das ohne Fleisch so teuer ist. Dabei sind das Teure nicht die Waren, sondern Personal und Energie. Ein Steak wirfst du in die Pfanne, dafür braucht man wenig Personaleinsatz. Aber für ein Gemüsecurry brauchst du Leute, die alles putzen und schneiden. 

Regulieren Sie mit den Preisen auch, wer kommt?

Kann man, nicht nur über Preise, sondern auch über die Location oder die Einrichtung. Aber wir bauen unsere Karten ab- sichtlich demokratisch auf, weil wir es cool finden, wenn eine breite Masse kommt. (Steht auf, holt eine Blitz-Karte, zeigt drauf) Hier kostet die Quesadilla 15 Euro, und da- mit bist du satt. Selbst wenn du was trinkst, kannst du mit 20 Euro nach Hause gehen. Wenn du das nicht kannst, geht es halt nicht.


Man sagt ja immer, Gastronomen verdienen an den Getränken. Gilt das auch für Wasser oder nur für Alkohol?

Vor allem für Alkohol. Eine Flasche Wasser kostet auch mal 6,50 Euro, weil der Gast den Platz besetzt, und wir kein Verlustge- schäft machen können. Woran man nicht mehr gut verdient, sind Bier und Softgetränke. Und für einen Longdrink zahlt man 7,50 Euro, das hat man vor 15 Jahren schon bezahlt. Innerhalb dieser Zeit ist aber eine irre Preiserhöhung im Einkauf dazugekommen. Die Betriebskosten werden immer höher, die Brauerei erhöht die Preise jedes Jahr, die Getränkehändler. Ich habe vor zwanzig Jahren mehr verdient als heute. Ein Gin Tonic müsste 20 Euro kosten. Das macht nur keiner in Deutschland. Hier herrscht nicht die Bereitschaft, für Lebensmittel und Getränke mehr auszugeben. Daher wäre es ein Hoffnungsschimmer für uns, wenn die derzeit niedrigere Mehrwertsteuer bleibt.

Sie haben schon vor der Pandemie gesagt, Speisegastronomie sei nur noch Liebhaberei. Warum machen Sie dann neue Läden auf, wie bald am Gasteig? 

Im Fall des neuen Konzepts ist die Überlegung: Die Charlie Bar kann ich wahrscheinlich bis zum Hochsommer nicht öffnen – da ist eine Sommerterrasse mit hauptsächlich Getränken und etwas Essen eine gute Übergangslösung. Und in anderen Fällen ist ein Restaurant einfach ein guter Türöffner. Hier beim Blitz war es so, dass ein Vermieter wie das Deutsche Museum nicht einfach nur einen Club wollte, sondern eine Gastronomie mit Garten. Für die war das schon verrückt, dass es hier kein Fleisch gibt.

„Den Glamourfaktor sehe ich nicht mehr, weil ich die brutal anstrengende Rückseite kenne.“

Ab wann kann man sagen: Ein Laden läuft?


Drei Jahre, bis die Kinderkrankheiten weg sind. Das sind so banale Dinge wie die richtigen Laufwege – weil sie unpraktisch sind oder man sich dauernd kreuzt. Aber auch, bis genug Leute mitgekriegt haben, dass es den Laden gibt, du das richtige Personal hast.

Sie sind selbst gelernte Köchin, wie viel kontrollieren Sie da noch?


Ich bin abends schon viel da. Gerade in den jungen Läden. Einfach, weil ich gerne Gastgeberin bin. Aber wie erwähnt auch als Kloentstopferin. Und natürlich helfe ich, wenn nötig, in der Küche. Da setzen mich die Kollegen gern zum Spülen oder Kartoffelschälen ein.

Gastronomie hat trotzdem immer auch einen Glamourfaktor, es ist cool, hinter die Bar zu dürfen. Haben Sie diese Faszination noch?

Den Glamourfaktor sehe ich nicht mehr, weil ich die brutal anstrengende Rückseite kenne. Aber man hat ja die totalen Glücksmomente.

Wann?

Bisschen plakativ, aber: Du stehst hinterm DJ-Pult im Club, ein Track geht los, du hast die richtige Menge Wodka intus, um überwältigt zu sein, und der Raum bebt vor Euphorie. Und dann weißt du: Dafür machst du das. Dann vergisst du, dass es grad vorher ’ne Schlägerei vor der Tür oder Drogenfahndung auf der Toilette gab.

Wenn es drei Jahre dauert, bis ein Laden so läuft – ist das bei Ihnen nun weniger? Beim Blitz standen die Menschen gleich Schlange.

Ich muss nicht mehr darauf hinarbeiten, dass die Leute kommen. Aber ich muss trotzdem drauf hinarbeiten, dass der Laden läuft – und halt abliefern. Wenn man eine gewisse Bekanntheit hat, kommen manche Leute auch, um sagen zu können, dass sie einen Scheißabend hatten.

In Ihren Anfangsjahren wurden Sie weniger ernst genommen.


Da wurde mir beim Brauereitermin mit meinem Partner ’ne Cola angeboten, weil die dachten, ich wäre ein Kind. Das passiert mir zum Glück nicht mehr. Dafür bin ich jetzt zu alt.

Wie kam es überhaupt, dass Sie vom Piercingstudio in die Gastronomie gewechselt sind?


Ich kannte damals viele Gastronomen und hatte so ’ne Idee, was für eine Bar ich selbst cool fände.

Die haben Sie nach drei Jahren zugesperrt. War das hart?


Ich weiß noch, ich war sehr jung, und das hat richtig wehgetan. Wie Liebeskummer. 

Haben Sie daraus gelernt?

Ja. Ich glaube, es war gut, das so zu erleben. Meine ganze Gastronomiegeschichte ist ja auch von Fehlschlägen getrieben. Aber in der Form habe ich das zum Glück nicht mehr erlebt. Mit dem heutigen Wissen hätte ich vermutlich noch ein wenig durchgehalten.

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